Zwei Journalisten wurden im April im Eichsfeld in Thüringen nach einer Verfolgungsjagd von Rechtsextremen verletzt und bestohlen. Zuvor hatten die Journalisten Aufnahmen vom Haus des NPD-Vize Thorsten Heise gemacht. Trotz eindeutiger Identifizierungen sind die Täter noch auf freiem Fuß.

Von Samira Alshater

Am 29. April 2018 waren zwei 26-jährige Journalisten vor dem Grundstück des NPD-Funktionärs Thorsten Heise in Fretterode, im Landkreis Eichsfeld, um Fotos zu Recherche-Zwecken zu machen. Zu jenem Zeitpunkt fand gerade ein Treffen bei Heise statt, wegen des bevorstehenden NPD-Aufmarsches am 1. Mai in Erfurt. Als die beiden Journalisten bemerkt wurden, stürmten zwei Neonazis aus Heises Haus, auf die beiden zu. Es begann eine wilde Hetzjagd mit dem Auto durch die Region. Bis die Angreifer den Wagen der Journalisten zum Stehen brachten. Die Neonazis gingen bewaffnet mit einem Baseballschläger, einem Messer, einem etwa 40 Zentimeter großen Schraubenschlüssel und Pfefferspray direkt zum Angriff über. Wie Vice berichtet, gelang es einem der beiden Journalisten gerade noch, sich eine Speicherkarte aus der Kamera in den Socken zu stecken, bevor die Heckscheibe des Autos nach einem wuchtigen Schlag mit dem Schraubenschlüssel zerbarst. Die Angreifer sprühten Pfefferspray in das Fahrzeuginnere. Ein Angreifer schlug mit einem Schraubenschlüssel auf den Kopf eines Journalisten, mit einer  blutenden Platzwunde als Ergebnis. Der andere Journalist trug eine Stichverletzung am Oberschenkel davon, als er vergebens versuchte, seine Kamera von den Rechtsextremen zu schützen. Erst als die Neonazis die Kamera zu fassen bekamen, ließen sie von den beiden Verletzten ab und fuhren mit ihrem Auto wieder Richtung Fretterode. Die beiden Journalisten wurden in einem Krankenhaus ambulant behandelt. Die herbeigerufene Polizei durchsuchte kurze Zeit später das Haus von Thorsten Heise und den Verfolgungswagen. Die Beamten konnten die Kameraausrüstung jedoch nicht finden. Auch verhaftet wurde niemand.

Wie ist der derzeitige Ermittlungsstand?

Nun sind über drei Monate seit dem brutalen Angriff vergangen. Was ist seither passiert? Nicht viel. Nach über 100 Tagen hat die Staatsanwaltschaft Mühlhausen noch keinen Haftbefehl gegen die Täter erlassen, trotz einer Anzeige wegen schweren Raubs und versuchten Totschlags – obwohl die beiden Tatverdächtigen der Polizei bereits im Mai namentlich bekannt waren, wie die HAZ schreibt.

Nach der Tat hatten die beiden Angegriffenen der Polizei eine Speicherkarte mit über 30 Fotos übergeben, auf denen die vermummten Täter zu sehen sind. Zunächst musste die Staatsanwaltschaft prüfen, ob die Bilder nachträglich manipuliert wurden – ein übliches Vorgehen, wie Dirk Germerodt, Sprecher der Staatsanwaltschaft Mühlhausen, Belltower.News mitteilte. Für unüblich hält hingegen der Anwalt der beiden Geschädigt dieses Vorgehen, das einer Täter-Opfer-Umkehr gleichkommt. Die Überprüfung ist mittlerweile jedoch abgeschlossen, so Germerodt. Haftbefehle wurden dennoch nicht erlassen, da die Täter noch immer nicht eindeutig identifiziert seien. Germerodt bezog sich dabei auf widersprüchliche Aussagen der beiden Journalisten. Nach der Tat identifizierten die beiden Journalisten einen der Angreifer. Beim zweiten waren sie sich weniger sicher. So nannten sie damals einen Namen, den sie jedoch später wieder zurückzogen.

Bei dem identifizierten Neonazi soll es sich nach Informationen des Göttinger-Tageblatt um Gianluca B. handeln. B. hatte 2016 als Kandidat der NPD für den niedersächsischen Kreistag in Northeim kandidiert, zudem ist B. Mitglied im Vorstand der NPD Niedersachsen. Nach Recherchen der Leipziger Internet Zeitung (LIZ) soll sich B. auch an dem brutalen Überfall auf den alternativen Stadtteil Connewitz in Leipzig 2016 beteiligt haben. Heise gilt als sein politischer Ziehvater. Doch gegen B. liegt bisher kein Haftbefehl vor, da es für die Staatsanwaltschaft offenbar sehr schwierig ist, den Tatverdächtigen zweifelsfrei zu identifizieren.

Bei dem zweiten Angreifer soll es sich nach Informationen der Thüringer Allgemeine möglicherweise um Heises Sohn handeln. Doch auch hier gibt es noch keinen Haftbefehl. Es müsse geprüft werden, ob die Tattoos auf den Bildern mit denen des Tatverdächtigen übereinstimmen. Die Ermittlungen dauern noch an, da offenbar trotz Beweisfotos die Identität der mutmaßlichen Täter noch nicht zweifelsfrei geklärt werden könne. Außerdem müssten Zeugenaussagen ausgewertet werden und es müsse geprüft werden, ob nicht ein Alibi vorliege. Auch hier steht ein Haftbefehl also noch aus. Die mutmaßlichen Täter sind also weiterhin auf freiem Fuß und das obwohl sie aus dem gewaltbereiten Neonazi-Milieu um Thorsten Heise stammen. Wie Recherchen gezeigt haben, gilt Thorsten Heise als deutscher Verbindungsmann des paramilitärischen neonazistischen Combat 18-Netzwerks. Trotzdem sieht die ermittelnde Behörde offenbar keine Gefahr, dass die beiden vermeintlichen Täter weiter straffällig werden oder gar fliehen könnten.

„Die bekannten Informationen zu Thorsten Heise und die jüngsten Recherchen zu dessen Rolle beim Wiederaufbau von Combat 18 in Deutschland zeigen, dass sich auch bereits vor dem Angriff auf die beiden Journalisten ein militantes und gewaltbereites Umfeld um Heise entwickelt hat, das über Jahre unter den Augen der Sicherheitsbehörden ungestört wachsen konnte“, so Theresa Lauß von der Beratungsstelle für Opfer rechter und antisemitischer Gewalt „ezra“ aus Erfurt.

Das Justizwunder Heise

Für viele Beobachter*innen der rechtsextremen Szene ist Thorsten Heise ein Justizwunder. Trotz eines riesigen Vorstrafeinregisters, wegen schwerer Körperverletzung, Landfriedensbruchs, Nötigung und Volksverhetzung sowie Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, kam er im Großen und Ganzen stets glimpflich davon. 1989 beispielsweise, versuchte Heise einen Menschen libanesischer Herkunft mit seinem Auto zu überfahren. Wegen des drohenden Verfahrens wegen versuchten Totschlags tauchte Heise in den Untergrund ab. 1991 wurde er gefasst und ihm wurde der Prozess gemacht – allerdings nicht mehr wegen versuchten Totschlags, sondern wegen einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr.  Unter Einbeziehung einer Jugendstrafe aus dem Jahr 1988 und einer positiven Sozialprognose des Gerichts wurde er zu zwei Jahren Haft, die auf  Bewährung ausgesetzt wurden, verurteilt.

Quellenschutz vor Strafverfolgung?

Theresa Lauß erinnert das inkonsequente Handeln der Staatsanwaltschaft Mühlhausen an das Prinzip Quellenschutz vor Strafverfolgung: „Das inkonsequente Handeln der Staatsanwaltschaft Mühlhausen erinnert uns fatal an das Nichtstun der Ermittlungsbehörden in Thüringen in den 1990er Jahren gegen zentrale Unterstützer*innen des NSU-Kerntrios, die als V-Leute des Verfassungsschutzes schwere Straftaten begehen konnten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.“