Drei Jahre – Kein Prozess – Kein Urteil – Keine Konsequenzen!

Im April 2018 griffen die beiden Neonazis Gianluca Bruno und Nordulf Heise zwei Göttinger Journalisten an und verletzen sie schwer. Drei Jahre nach dem Angriff fand immer noch kein Prozess statt. Die Täter sind weiterhin aktiv, einer von ihnen in der Schweiz.

Eine gekürzte Fassung des Artikels erschien im Sommer 2021 im Antifaschistischen Info Blatt Nr. 131

Den Tod billigend in Kauf genommen

Als zwei Journalisten Fotos vom Anwesen vom stellvertretenden Bundesvorsitzenden der NPD Thorsten Heise machten, wurden Sie durch mehrere Neonazis auf dem Gelände entdeckt. Hieraufhin kam es zu einer Verfolgungsjagd, zwei der Neonazis verfolgten die beiden zunächst zu Fuß, dann per Auto. Noch während der Fahrt gelang es einem Journalisten die Angreifer als auch deren Wagen zu fotografieren. Im benachbarten Hohengandern kam das Auto der Journalisten von der Fahrbahn ab. Die beiden Neonazis gingen sofort zum Angriff über. Einer der Täter zerstach sämtliche Reifen des Wagens, schlug die Seitenscheiben des Autos ein und sprühte Reizgas ins Innere. Der Zweite ging erst mit einem Baseballschläger auf einen der Journalisten los, später schlug er ihn mit einem unterarmlangen Schraubenschlüssel auf den Kopf, sodass er eine Schädelfraktur erlitt. Erstere Neonazi versuchte währenddessen an die Kamera im Auto zu gelangen. Dabei stach er mit einem Messer auf den noch im Auto sitzenden anderen Journalisten ein und fügte ihm eine Stichwunde am Bein zu. Als er die Kamera und die dazu gehörige Tasche erbeuten konnte, war die dazugehöre SD-Karte schon entnommen. Im Anschluss flüchten die beiden Täter zusammen mit ihrem Auto zurück nach Fretterode.

Ermittlungen nur durch öffentlichen Druck

Die Ermittlungen der Eichfelder Polizei gegen die beiden Neonazis begannen schwerfällig. So ging die Polizei zunächst von einem „Rechts-Links-Konflikt“ aus und ermittelte zeitweise auch gegen die Opfer. Dass der Polizei eine totalen Fehleinschätzung der Lage unterlief, zeigte die wenige Stunden nach der Tat stattfindende Hausdurchsuchung. Die Täter, die auf das Anwesen der Familie Heise zurück flüchteten, stellten das Auto auf dem Gelände ab und begaben sich ins Haus. Noch während der laufenden Durchsuchung, die lediglich von zwei Beamten durchgeführt wurde, konnten Neonazis mehrfach Gegenstände und Kleidungsstücke aus dem Tatfahrzeug entfernen. Ein Journalist, der währenddessen Bilder machte, wurde von mehreren Neonazis vor Ort angegangen. Die anwesenden Polizisten versuchten ihn zu nötigen, seine Aufnahmen zu löschen. Eine eilig herbeigerufene Hundertschaft der Bereitschaftspolizei war lediglich zum Schutz des Anwesens der Familie Heise abgestellt, um vermutete Racheaktionen der Antifa zu verhindern.

Erst nach einer Woche veröffentlichte die Polizei einen Suchaufruf an ZeugInnen der Tat und sprach dabei von einem Raubüberfall. Nachdem die Anwälte der Opfer öffentlich Kritik an den Ermittlungen der Polizei übten, übernahm das Landeskriminalamt Erfurt die Ermittlungsarbeit. Die beiden Journalisten stellten für die Ermittlungsarbeit die während der Verfolgung aufgenommenen Bilder am Tag nach der Tat zur Verfügung. Erste Reaktion der Staatsanwaltschaft war es, deren Authentizität öffentlich anzuzweifeln und damit die Integrität der Opfer in Frage zu stellen. Schlussendlich wurde mithilfe der Bilder dennoch Nordulf Heise identifiziert und in die Ermittlungen mit einbezogen.

Nachdem die Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft lagen, passierte lange nichts. Mit fertiger Anklageschrift dauert es über ein Jahr bis zur Anklageerhebung. Den in den Januar 2021 verschleppte Prozessbeginn verhinderte die zweite Corona Welle und soll nun im September 2021 starten.

Der „Ziehsohn“ und der Sohn

Die Täter sind keine Unbekannten. Gianluca Bruno, der ursprünglich aus einer Northeimer Jugendclique seinen Weg in das Umfeld der „Kameradschaft Northeim“ fand, gilt seit einigen Jahren als einer der Nachwuchskader im Umfeld von Thorsten Heise. Zu den Kommunalwahlen 2016 trat er erstmals für die NPD als Kandidat in Northeim an. Später wurde er Mitglied im NPD-Landesverband und Teil des Vorstands. Immer begleitet und protegiert von Thorsten Heise, der versuchte über Bruno seinen Einfluss in der niedersächsischen NPD zu stärken. Im April 2019 zur Zeit des Angriffs, war Bruno stellvertretender NPD-Landesvorsitzender in Niedersachsen.

Parallel entwickelte Bruno auch eine Führungsrolle innerhalb des „Freundeskreises Thüringen/Niedersachsen“, (FKTN) der sich Ende Jahr 2015 im Zuge von Pegida und co im Randgebiet zwischen Südniedersachen und dem Thüringischen Eichsfeld gründete und später als freie Liste der NPD zum Wahlkampf antrat. So übernahm er mehrfach die Funktion als Anmelder und Redner von Versammlungen nachdem Andere durch antifaschistischen Druck von dieser Funktion zurücktraten. Nachdem die Wahlergebnisse anders als erhofft sehr schlecht ausfielen und der Zusammenschluss in der Bedeutungslosigkeit versank, übernahm Bruno zunehmend Aufgaben bei Veranstaltungen der Eichsfelder NPD und der Arischen Bruderschaft.

Auch wenn sich beide Täter auf den selben Veranstaltungen und Umfeldern bewegen, betätigten sie sich oft auch in verschiedenen Funktionen. Anders als Bruno übernimmt Nordulf Heise keine wahrnehmbaren Posten und hat auch keine Mandate inne. Während Bruno bei Öffentlichen Veranstaltungen oder in der NPD oft eine Funktionsrolle wahrnimmt und als Anmelder und Redner fungiert, tritt Nordulf Heise aktionistisch in Erscheinung. Seit 2015 tritt er regelmäßig bei Aufmärschen im Umfeld der Kameradschaft Northeim in Erscheinung. Vorher besuchte er NPD Veranstaltungen nur in Begleitung seiner Mutter Nadine Heise. Mehrfach bewegte er sich zusammen mit jüngeren Neonazis aus Südniedersachsen und Hessen vermummt im Umfeld von Veranstaltungen des FKTN und suchte die Konfrontation mit AntifaschistInnen.

Am 11.01.2016 überfielen Neonazis das linke Leipziger Szeneviertel Connewitz. Unter ihnen befand sich auch Ginaluca Bruno, der mit einer Reisegruppe aus Thüringen und Niedersachsen angereist war. Mobilisiert wurde Bruno durch den Arnstädter Hooligan Dennis Dragewski, vermutlich reisten sie auch zusammen an. Wer die weiteren Begleiter der beiden waren, konnte nicht geklärt werden. Knapp einen Monat später attackierte eine Gruppe von etwa 35 Neonazis, in der sich sowohl Dragewski, Bruno als auch N. Heise befanden, in Duderstadt die Gegenkundgebung von „Duderstadt ist bunt“. Sie versuchen ein Transparent von AntifaschistInnen zu entwenden, wurden aber von der Polizei daran gehindert.

Ab April 2018 veranstaltet Thorsten Heise das „Schild & Schwert“ im sächsischen Ostritz. Bei dem Festival übernahmen sowohl Bruno als auch N. Heise exponierte Rollen innehab des Ordnerdienstes der Arischen Bruderschaft.

Die internationalen Netzwerke des Vaters genutzt

Während Gianluca Bruno nach dem Angriff in Fretterode verweilt, zog Nordulf Heise innerhalb weniger Wochen in die Schweiz. Im Schweizer Visp im Oberwallis wird er von Silvan Gex-Collet aufgenommen, einem engen Freund der Familie Heise. Im Juli 2018 verbrachten die Familie Heise, Gex-Collet und Bruno einen knappen Monat im gemeinsamen Griechenlandurlaub. Danach begann Nordulf eine Ausbildung bei der Firma für Gebäudetechnik Ewald Gattlen GmbH, in der zu diesem Zeitpunkt auch Silvan Gex-Collet arbeitete.

Gex-Collet gilt als Verantwortlicher für die Oberwalliser Sektion von Blood & Honour. Er betreibt im Wallis das B&H/C18 nahe Tattoo Studio „Nordic Thunder“ sowie einen Textilshop. Thorsten Heise trat mehrfach bei Veranstaltungen als Redner der Walliser B&H Sektion auf, wie z.B. im Februar 2014.

Auf Anfrage des Walliser Boten bei Nordulf Heises Ausbildungsbetrieb, warum dieser trotz der Anklage in Deutschland bei ihm die Ausbildung abschließen darf, behauptet er gegenüber der Lokalzeitung „er kapselt sich von seiner Familie ab.“. Doch wie antifaschistische Recherche belegen, ist das Gegenteil der Fall. Seit dem Umzug Nordulfs besuchen nicht nur die Familie Heise sondern diverse deutsche Neonazis das Wallis. Nordulf Heise bewegt sich im Wallis im Umfeld von B&H und den Hooligans der FC Sion der“Street Society Oberwallis“ und der Gruppe „Swastiklan Wallis“. Im Mai 2019 besuchte Nordulf zusammen mit Mitgliedern der Hooligan Gruppe den Eichsfeldtag im Thüringischen Leinefelde.

Presse als Hauptfeind markiert

Der Angriff im April 2018 kam nicht aus dem luftleeren Raum. Er bettet sich ein in eine Kampagne mit hetzerischen Redebeiträgen von Thorsten Heise, die im Voraus Journalisten als einen Hauptfeind markierten. So sprach T. Heise in einem Vortrag anlässlich einer NPD Wahlkampfveranstaltung in Karlshöfen im Februar 2018 „Dieser typische BRD-Politiker, da habe ich noch gedacht, das ist also wirklich unser, unser Feindbild. […] So weiß ich doch heute aber, glaub ich, ganz genau, dass auch eins unserer Hauptfeindbilder diese Journaille sein muss.“. In seinem Vortrag nennt er auch Namen. Diesen Redebeitrag hörten auch Ginanluca Bruno und Nordulf Heise nur wenige Wochen bevor sie das Gehörte in die Tat umsetzen. In den folgenden Monaten folgten mehrere Redebeiträge in denen Heise JournalistInnen namentlich benennt und mal mehr mal weniger verklausuliert zum Angriff auf sie bläst.

Warten auf den Prozess

Anfang September 2021 soll nun aller Voraussicht nach – mehr als drei Jahre nach der Tat –  der Prozess vor dem Landgericht in Mühlhausen starten. Obwohl davon ausgegangen werden muss, dass Verletzungen mit den verwendeten Waffen schnell tödlich sein können, werden die Täter nur wegen schweren Raubs und gemeinschaftlicher Körperverletzung angeklagt und nicht wie von der Nebenklage gefordert wegen versuchten Totschlags. Wie auch bei den Connewitz- und Ballstädt-Prozessen ist zu befürchten, dass die lange Verfahrensdauer am Ende zu milden Strafen für die Angeklagten führt. Am Ende wird auch der Druck außerhalb des Gerichtssaals darüber entscheiden, ob dem Angriff der Neonazis Konsequenzen folgen.

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