Gewalt gegen Journalisten nimmt zu – auch in Deutschland und nicht erst mit dem Aufkommen der Corona-Demonstrationen. Journalisten, die im extrem rechten Milieu recherchieren, sehen sich Angriffen ausgesetzt – verbal und körperlich. Der Neonazi-Angriff auf zwei Journalisten aus Göttingen im thüringischen Fretterode gehört dazu. Grund genug also an das hohe Gut der Pressefreiheit zu erinnern.

Göttinger Tageblatt, vom 01.05.2021

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Pressefreiheit – mit diesen Worten ist sie in Artikel 5 des Grundgesetzes der Bundesrepublik fest verankert. Ein hohes Gut also, das es zu verteidigen gilt. Gut also, dass der internationale Tag der Pressefreiheit der Unesco jährlich am 3. Mai auf die besondere Rolle freier Berichterstattung hinweist.

Doch die Pressefreiheit ist bedroht – nicht nur in China, Malaysia und Eritrea, nicht nur in Turkmenistan, Afghanistan und Kirgisistan.

Vor einer Woche hat die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ dargelegt, dass die Gewalt gegen Journalisten auch in Deutschland zugenommen hat. Im weltweiten Ranking ist Deutschland in Sachen Pressefreiheit aus der Spitzengruppe herausgefallen. „Hauptgrund dieser Bewertung ist, dass Gewalt gegen Medienschaffende in Deutschland im Jahr 2020 eine noch nie da gewesene Dimension erreicht hat“, begründete die Organisation ihre Herabstufung.

2020 ereignete sich die Mehrzahl der körperlichen und verbalen Angriffe auf Journalisten während Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen. Um derartige Übergriffe zu sehen, muss niemand in die Ferne schweifen. Demos, bei denen Kollegen massiv angegangen werden, gibt es auch in diesem Jahr, auch in der Region – sei es im Februar in Duderstadt oder im April in Mühlhausen.

Angriff auf Journalisten in Mühlhausen

Neu ist das allerdings nicht. Journalisten, die seit Jahren im extrem rechten Milieu recherchieren, sehen sich fortwährend Angriffen ausgesetzt.

Wenn nun im September nach dreieinhalb Jahren der Angriff auf zwei Journalisten durch zwei Neonazis aus dem engen Umfeld von NPD-Funktionär Thorsten Heise in Fretterode endlich vor dem Landgericht Mühlhausen verhandelt werden sollte, wird eben nicht nur schwerer gemeinsamer Raub, gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung – wie es die Staatsanwaltschaft den beiden mutmaßlichen Tätern vorwirft – oder gar versuchter Totschlag – wie es die Anwälte der Opfer fordern – verhandelt.

Vor Gericht steht dann auch ein Angriff auf Pressefreiheit und Recherchefreiheit durch zwei brutale Neonazi-Schläger, denen daran gelegen war, unliebsame Berichterstattung zu unterbinden und Journalisten einzuschüchtern. Erfolg hatten sie damit glücklicherweise nur zum Teil.

Das Verfahren zieht sich „ein bisschen“

Umso verwunderlicher mutet an, dass die Justiz in Thüringen diesen Fall nur schleppend behandelt hat. Zehn Monate vergehen, bis die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt, drei Jahre sind vergangen ohne Gerichtstermin. Eine unbesetzte Richterstelle, die Corona-Pandemie und das erwartete Medieninteresse führt das Gericht als Gründe an. Andere Gerichte haben indes gezeigt: Prozesse mit großem öffentlichen Interesse können auch in Corona-Zeiten geführt werden. Schon vor einem Jahr räumte Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) ein, dass sich das Verfahren „ein bisschen“ ziehe. 

Die Thüringer Opferberatungsstelle Ezra hatte zuvor schon die „inkonsequente“ Strafverfolgung durch die Ermittlungsbehörden kritisiert, habe die Staatsanwaltschaft doch entgegen der üblichen Praxis in dem Fall keinen Haftbefehl beantragt. „Keine nachvollziehbaren Haftgründe“, hieß es.

Privatadressen von Journalisten für Neonazis

Da passt eine Begebenheit nur allzu gut ins Bild: Nur ein knappes dreiviertel Jahr später recherchierte einer der attackierten Journalisten mit anderen erneut in Fretterode. Diesmal unter Polizeischutz. Doch die Beamten forderten die Journalisten auf, das Fotografieren einzustellen, und verlangten, dass die gemachten Fotos gelöscht werden. Auch sollte ein Teilnehmer der Neonazi-Veranstaltung die Privatadressen der Journalisten „zum Schutz privater Rechte“ erhalten.

Gut also, dass der internationale Tag der Pressefreiheit auf die besondere Rolle freier Berichterstattung hinweist. Nötig wäre es mehr denn je, dies jeden Tag im Jahr zu tun.

Quelle: https://www.goettinger-tageblatt.de/Die-Region/Goettingen/Kommentar-Angriff-in-Fretterode-Es-geht-auch-um-Pressefreiheit