11.11.2020 – BNR – Kai Budler

Im April 2018 überfielen Neonazis aus dem Umfeld von Thorsten Heise zwei Journalisten und verletzten sie teils schwer. Nun kommt in das Verfahren gegen die Beschuldigten Bewegung.

Zweieinhalb Jahre nach dem Überfall von Neonazis auf zwei Journalisten im thüringischen Eichsfeld (bnr.de berichtete) hat das Landgericht Mühlhausen nun die Anklageschrift gegen die zwei mutmaßlichen Täter zugelassen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Neonazis in der Anklage aus dem Februar 2019 „gemeinschaftlich begangene Sachbeschädigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und schwerem Raub“ vor.

Zu den Beschuldigten zählt der langjährige Neonazi Gianluca B. aus Südniedersachsen. Er gilt als politischer Ziehsohn des Neonazis und NPD-Funktionärs Thorsten Heise, kandidierte bei den niedersächsischen Kommunalwahlen im September 2016 für die NPD im Landkreis Northeim und fungierte bis Sommer 2018 als stellvertretender Vorsitzender der NPD Niedersachen und als Vorsitzender der NPD Göttingen. Auch bei den Ausschreitungen von Neonazis in Leipzig-Connewitz im Januar 2016 war B. beteiligt. Bei dem zweiten Beschuldigten handelt es sich um den polizeibekannten Sohn von Thorsten Heise. Lange bevor die Staatsanwaltschaft Mühlhausen ihre Anklageschrift vorlegte, war er bereits in das Schweizer Wallis zu einem bekannten „Blood & Honour“-Aktivisten gezogen.

Opferberatung kritisiert zeitliche Verzögerungen

Ausgangspunkt des Überfalls war das 1999 von der Familie Heise erworbene „Gutshaus Hanstein“ im Eichsfelddorf Fretterode, wo B. und Heises Sohn zum Tatzeitpunkt lebten. Am Rand eines Treffens in Heises Haus am 29.04.2018 sollen beide Beschuldigten zwei Journalisten, die das Anwesen fotografiert und gefilmt hatten, verfolgt und angegriffen haben. Nach einer Verfolgungsjagd mussten die beiden Fotografen ihren BMW im nahegelegenen Hohengandern stoppen. Dort sollen die maskierten Neonazis sie mit Reizgas, Baseballschläger, Schraubenschlüssel und einem Messer attackiert haben. Die Opfer erlitten eine Stichverletzung und einen Bruch des Schädelknochens. Die Täter beschädigte das Auto der Journalisten und raubten ihre Fotoausrüstung. Der Anwalt eines der Opfer, Sven Adam, erklärte, mindestens ein Täter habe „in Kauf genommen, dass der Mensch dadurch sterben könnte“, doch die Staatsanwaltschaft sah keinen hinreichenden Verdacht auf versuchten Totschlag.

Das Verfahren hatte sich immer wieder verzögert, zuletzt hatte das Landgericht Mühlhausen einen Prozessbeginn im Spätsommer 2020 angedacht. Eine Sprecherin begründete die Verzögerung mit der nicht wieder besetzten Stelle für den Vorsitz der 3. Strafkammer, die sich um Strafsachen gegen Jugendliche und Heranwachsenden kümmert. Vor ihr soll die Verhandlung stattfinden, da einer der Beschuldigten zum Tatzeitpunkt noch Heranwachsender war. Die „Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen“ (ezra) hatte das juristische Vorgehen schon 100 Tage nach dem Angriff scharf kritisiert. Die mangelnde adäquate Strafverfolgung sei „ein Signal an die Täter: Ihr habt mit keinen erheblichen Konsequenzen für lebensgefährliche Angriffe auf Menschen zu rechnen.“

Quelle: https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/fretterode-anklage-gegen-neonazis-zugelassen