Unter großem öffentlichen Interesse hat in Mühlhausen (Thüringen) der Prozess gegen zwei Männer aus der rechtsextremen Szene begonnen, die 2018 in Fretterode im Eichsfeld zwei Journalisten aus Göttingen angegriffen, verletzt und beraubt haben sollen. Zum Auftakt schilderten die angeklagten Neonazis vor dem Landgericht ihre Version der Geschehnisse.

Mühlhausen / Fretterode

Zum Auftakt des Prozesses wegen des Überfalls auf zwei Journalisten vor mehr als drei Jahren im thüringischen Fretterode haben sich die beiden Angeklagten Gianluca B. und Nordulf H. zu den Vorwürfen geäußert. Dabei räumte der 22 Jahre alte Hauptangeklagte H. vor dem Landgericht Mühlhausen ein, er habe im April 2018 mit einem Schraubenschlüssel auf das Auto der beiden Journalisten eingeschlagen. Beide Angeklagte sind in der extrem rechten Szene aktiv.

Zum Prozessbeginn erschienen die Angeklagten fast uniformiert – sie trugen schwarze Baseball-Kappen, schwarze Masken, bunt verspiegelte, schwarze Sonnenbrillen, schwarze Windjacken und Hemden, diese weiß und hell-blau-kariert. Vertreten werden Gianluca B. und Nordulf H. durch Anwälte der rechten Szene: Klaus Kunze und Wolfram Nahrath.

Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen wirft den beiden Angeklagten vor, die Journalisten angegriffen zu haben. Dazu hätten sie die Journalisten zunächst mit einem Auto verfolgt, die ihrerseits mit einem Auto aus Fretterode geflohen waren. Ausgangspunkt des damaligen Überfalls war eine Recherche der beiden Journalisten in der Nähe des Grundstücks des bekannten Neonazis und stellvertretenden Bundesvorsitzenden der NPD, Thorsten Heise, dem Vater von H..

Stichverletzung im Oberschenkel

Nachdem das Auto der Journalisten kurz vor Hohengandern liegen geblieben war, habe der Hauptangeklagte unter anderem Reizgas in den Innenraum des Wagens gesprüht, sagte ein Staatsanwalt während der Verlesung der Anklage.

Außerdem habe der Hauptangeklagte H. einen der Journalisten mit einem 10 bis 15 Zentimeter langen Messer in den Oberschenkel gestochen, als dieser versucht habe, den Angreifer durch Tritte am Eindringen in das Fahrzeug zu hindern, so die Vorwürfe. Die Folge: eine ein bis zwei Zentimeter tiefe Stichverletzung, so die Staatsanwaltschaft. Zudem habe Nordulf H. die Kameraausrüstung der Journalisten an sich genommen. Gianluca B. soll einem der Journalisten mit einem Schraubenschlüssel auf den Kopf geschlagen haben. Am Auto zerstachen die Angeklagten die Reifen.

Angeklagt sind die beiden mutmaßlichen Täter nun wegen Sachbeschädigung sowie gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und gemeinsamem schweren Raub, sagte der Staatsanwalt. Bleibt es bei dieser Anklage, drohen den beiden Tatverdächtigen mehrjährige Freiheitsstrafen – schwerer Raub sieht in Fällen wie diesem laut Paragraf 250 Strafgesetzbuch mindestens fünf Jahre vor. Der Göttinger Anwalt Rasmus Kahlen, der einen der Journalisten vertritt, betont, dass angesichts der Umstände auch deutlich mehr möglich sei. Kahlen und Sven Adam, der den zweiten Journalisten vertritt, werten die Tat als versuchten Totschlag. Die Angeklagten hätten den Tod der beiden Journalisten billigend in Kauf genommen, argumentierten die Anwälte vor Prozessbeginn. Dem folgte die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage allerdings nicht.

Neonazi in Rage

„Ich bin durchgedreht. Es war, als hätte sich ein Schalter umgelegt“, ließ Nordulf H. am Dienstag seinen Verteidiger Nahrath verlesen. „Ich war in Rage und konnte mich nicht mehr beherrschen“, heißt es in Nordulf H.s Einlassung zum 29. April 2018, an dem die Attacke auf das Auto der beiden Journalisten nach einer Verfolgungsjagd von Fretterode bis kurz vor Hohengandern geschehen sein soll.

Er habe die Journalisten vor dem Haus seiner Familie gesehen, wie sie Fotos gemacht hätten, sagte der 22-jährige H.. Als er die Löschung der Fotos aus Angst, dass diese in Antifa-Veröffentlichungen erscheinen könnten, verlangte, sei der Fahrer, den H. als „Göttinger Antifa“ erkannt haben will, auf ihn zu gefahren. Den beiden Journalisten sprach H. in seiner verlesenen Einlassung ab, überhaupt Journalisten zu sein. Die wiederum verließen während der Einlassungen der beiden Angeklagten am Dienstag den Gerichtssaal.

Mit Gianluca B. habe er dann, so H. weiter, im Wagen seines Vaters die Verfolgung aufgenommen, um das Autokennzeichen der Göttinger zu bekommen. Weder er noch B. hätten zu dem Zeitpunkt ihre Mobiltelefone dabei gehabt, um die Polizei zu rufen. Kurzzeitig nahm H. die Verfolgung zu Fuß auf – mit einem 40 bis 50 Zentimeter langen Schraubenschlüssel. Vermummt sei er dabei gewesen, weil er weiter fotografiert worden sei.

Später kommt es auf dem Gelände einer Schweinemastanlage bei Hohengandern zum Aufeinandertreffen von Verfolgten und Verfolgern. Wegen einer Baustelle endet ihre Autofahrt hier.

Gianluca B. bestätigte in seiner Einlassung am Dienstag, dass Nordulf H. auf den Wagen der Journalisten geschlagen hat. B. berichtet aber auch, dass einer der Journalisten ihn mit einem Baseballschläger attackiert haben soll. Er wiederum habe mit dem Schraubenschlüssel auf den Journalisten geschlagen. „Kann sein, dass ich ihn dabei am Kopf getroffen habe“, erklärt B. lapidar. Später wird im Uni-Klinikum bei dem Journalisten ein Schädelbruch festgestellt. Den Prozess begleitet eine Gerichtsmedizinerin der Uni in Jena. Ihr Gutachten wird an einem der insgesamt elf Verhandlungstage eine Rolle spielen.

B. selbst gibt an, dass durch die gegnerischen Schläge mit dem Baseballschläger seine Hand gebrochen wurde. H. und der zweite Journalist hätten dann, so B. weiter, jeweils mit Reizgas gesprüht.

H. erwähnt in seiner Einlassung, anders als die Staatsanwaltschaft, kein Messer. Auch der 27-jährige B. sagt, er habe während der Auseinandersetzung kein Messer gesehen. Nach seiner Darstellung, die er von Verteidiger Kunze verlesen ließ, war er vor allem als Fahrer des Verfolgerautos in das Geschehen verstrickt.

„Es tut mir leid“, lässt H. durch Verteidiger Nahrath verlesen, der schildert, dass H. nach der Schule Berufssoldat werden wollte, was ihm aber nach der Tat verwehrt worden sei. Stattdessen habe er in der Schweiz eine Ausbildung zum Installateur begonnen und inzwischen auch abgeschlossen.

Seit der angeklagten Tat sind inzwischen 40 Monate vergangen – Zeit genug, eine Ausbildung zu machen. Denn in Untersuchungshaft mussten die beiden mutmaßlichen Täter nicht.

„Schamloser Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr“

Der Prozessbeginn war von einem großen öffentlichen Interesse begleitet worden. Etwa 50 Zuschauer und Journalisten waren im Verhandlungssaal anwesend. Auch die Thüringer Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss (Linke) und Madeleine Henfling (Grüne) beobachteten den Auftakt. „Während die Anklageschrift nüchtern den Angriff auf die beiden Journalisten beschreibt, sind die heute verlesenen Einlassungen der beiden Täter nur als schamloser Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr einzuordnen“, sagte König-Preuss. Nicht nur, dass die Angeklagten versucht hätten, den Journalisten ihre Journalistentätigkeit abzuerkennen, sie hätten beide mehrfach als angebliche Täter diffamiert.

Vor dem Gebäude gab es eine Kundgebung und Informationen zum Prozess, die die Göttinger Antifa organisiert und zusammengestellt hatte. Rund 100 Menschen aus Thüringen, Hessen und Niedersachsen zeigten ihre Unterstützung für die beiden Journalisten. Darunter auch die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke). Die Polizei war mit einem größeren Aufgebot vor Ort und hatte die Zufahrtsstraße zum Verhandlungsort in Mühlhausen abgesperrt.

Der Prozess wird am Donnerstag, 9. September, fortgesetzt. Dann soll nach Angaben der Vorsitzenden Richterin der zuständigen Kammer auch einer der beiden Journalisten als Zeuge vernommen werden. Zudem gebe es Fragen an die beiden Angeklagten.

Von Michael Brakemeier