Im April 2018 werden zwei Fotojournalisten im Eichsfeld fast totgeprügelt. Erst jetzt wird verhandelt. Am Landgericht Mühlhausen droht ein Ausnahmezustand.

Die Polizei ist vorbereitet. „Wir haben unsere Maßnahmen koordiniert“, sagt Fränze Töpfer dieser Zeitung. Ins Detail geht die Sprecherin der Landespolizeiinspektion Nordhausen nicht. Nur so viel: „Wir rechnen mit Störungen.“

Am Dienstag, dem 7. September, beginnt am Landgericht Mühlhausen der Prozess gegen zwei junge Männer. Verhandelt wird vor der Jugendkammer, denn einer der beiden war zum Zeitpunkt der Tat noch Heranwachsender. Im April 2018 sollen die Angeklagten zwei Fotojournalisten zunächst bedroht und später mit dem Auto auf einer Landstraße im Eichsfeld in den Graben gedrängt haben. Was dann passierte, zeugt von erheblicher Brutalität: Sie sollen einen der beiden Journalisten angegriffen und mit Gegenständen geschlagen haben. Auch ein Messer ist zum Einsatz gekommen. Die Fotoausrüstung der beiden Männer wurde gestohlen. Den Angeklagten wird deshalb schwerer Raub und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Der Prozess birgt politische Brisanz. Beide Angeklagte gehören der rechtsextremen Szene in Nordthüringen beziehungsweise Südniedersachsen an. Sie werden dem nahen Umfeld von Torsten Heise zugerechnet. Heise ist stellvertretender Bundesvorsitzender der rechtsextremen NPD. Um das Objekt, das Heise in Fretterode unterhält, dreht sich auch der Fall. Die beiden Journalisten waren an jenem Tag ins Eichsfeld gereist, um zu Recherchezwecken Fotos aufzunehmen. Daraufhin eskalierte die Situation.

Richter ging vorzeitig in den Ruhestand

Mit den Ermittlungen der Polizei beginnt eine Achterbahnfahrt. Einem der beiden Journalisten gelingt es, die Speicherkarte mit den Fotos zu sichern, die er noch fertigen konnte, während sie schon verfolgt wurden. Die Mühlhäuser Staatsanwaltschaft zweifelt zunächst daran, dass die Bilder authentisch sind, kommt aber später zu der Einschätzung, dass sie die Täter zeigen. Zunächst laufen die Ermittlungen auf einen anderen Tatverdächtigen hinaus. Später rücken die jetzt Angeklagten in den Fokus.

Einer der beiden ist kein Unbekannter. Zuletzt musste er sich in Leipzig vor dem Amtsgericht verantworten wegen eines Neonazis-Überfalls im Stadtteil Connewitz. Auch dort ein ähnlicher Zeitablauf: Es dauerte von der Tat bis zum Prozess sogar fünf Jahre.

In der Zwischenzeit konnten beide Angeklagte ihren Tätigkeiten nachgehen. Einer tauchte immer wieder bei von Heise organisierten Festivals im Organisationsteam auf. Der andere wurde mindestens einmal beim Schild- und Schwert-Festival gesichtet und erschien 2019 auch beim Rechtsrock-Fest „Eichsfeldtag“ in Leinefelde.

Nach Abschluss der Ermittlungen endet die Odyssee um die Strafverfolgung allerdings nicht. Denn: Der eigentlich zuständige Richter geht vorfristig in den Ruhestand, muss sich also Monate vor seiner Pensionierung nicht mehr mit dem politisch brisanten Verfahren auseinandersetzen. Dann folgt die Corona-Pandemie; und auch das Landgericht hat Schwierigkeiten, Termine mit großem öffentlichen Interesse anzusetzen.

Und öffentliches Interesse ist durchaus vorhanden: Allein bis Ende dieser Woche hatten sich 29 Journalistinnen und Journalisten beim Landgericht für das Verfahren angemeldet. Wie viel Publikum erwartet wird? Unklar.

Journalistenverband hofft auf ein klares Signal

Der Landesverband Thüringen des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) hofft auf ein klares Signal, das von dem Prozess und dem dann folgenden Urteil ausgeht. Es müsse deutlich werden, „dass eine derart brutale, politisch motivierte Attacke nicht folgenlos bleibt oder am Ende lediglich zu einer Bagatellstrafe führt“, sagt DJV-Landesgeschäftsführer Sebastian Scholz auf Anfrage. „Denn es geht hier neben dem Angriff auf die körperliche Unversehrtheit der betroffenen Fotojournalisten auch um einen Angriff auf die Pressefreiheit in unserem Land“, stellt er klar.

Am 7. September soll der Prozess nun nach zähem Ringen beginnen. Dreieinhalb Jahre nach der Tat und fast zweieinhalb Jahre nach Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft Mühlhausen. Das Verfahren wird unter besonderen Corona-Bestimmungen ablaufen. Regelmäßig werde der Saal gelüftet, bestätigt eine Sprecherin des Landgerichts und verweist auf die Messung des CO2-Gehalts in den Verhandlungsräumen. Es werde die üblichen Personenkontrollen geben.

Kundgebungen vor der Verhandlung

Der größte Saal des Landgerichts befindet sich im Puschkinhaus. Dort soll der Prozess stattfinden. Für alle Verhandlungstage hat der Kreisverband der Linkspartei Kundgebungen angemeldet. Diese Informationen liegen bereits bei der Polizei vor. Überdies wird im Internet mobilisiert. Auch deshalb rechnet die Polizei, bei der ein Amtshilfeersuchen des Landgerichts Mühlhausen zur Absicherung des Prozesses vorliegt, mit Störungen rund um den Prozess.

Ob alle Journalisten, die über die Verhandlung berichten wollen, auch einen Platz erhalten, das steht weiterhin in den Sternen. Denn es gebe, heißt es aus dem Gericht, nur 20 Plätze. 29 Anmeldungen liegen vor – allerdings sind da Kameraleute und Fotografen noch nicht mitgezählt.

Wie lange es bis zur Ansetzung der Verhandlung gedauert hat, wird durch diese Tatsache deutlich: 2018, im zeitlichen Umfeld der Tat, begann einer der Angeklagten eine Ausbildung in der Schweiz – die hat er mittlerweile abgeschlossen.