Vor drei Jahren – am 29. April 2018 – machten zwei Neonazis im thüringischen Fretterode (Landkreis Eichsfeld) Jagd auf zwei Journalisten aus Göttingen und verletzten beide schwer. Ein Gerichtsprozess gegen die mutmaßlichen Täter aus dem engen Umfeld von NPD-Mann Thorsten Heise steht bis heute aus.

Fretterode / Göttingen

Drei Jahre ist es her, dass zwei Neonazis aus dem Umfeld von NPD-Kader Thorsten Heise im thüringischen Fretterode Jagd auf Journalisten gemacht haben. Seit drei Jahren leben die beiden Opfer mit der Erinnerung an den Angriff. Ein Foto vom Angriff zeigt einen der Neonazis, wie er muskelbepackt, mit einem schweren Schraubenschlüssel bewaffnet und mit schwarzen Handschuhen, das Gesicht durch ein Tuch und dunkle Sonnenbrille verhüllt, die Verfolgung der beiden Göttinger aufnimmt. Ein Bild, das sich nicht so leicht vergessen lässt.

„Die Sache belastet mich heute noch psychisch“, sagt einer der Betroffenen, der lieber ungenannt bleiben möchte. Einen Schlussstrich unter die Sache kann er aber längst noch nicht ziehen, denn noch immer – drei Jahre nach der Tat – hat es ein Gerichtsverfahren gegen die beiden mutmaßlichen Täter nicht gegeben. Allein in diesem Jahr wurde der Prozessbeginn zweimal verschoben.

Zunächst sollte das Verfahren im Januar beginnen, der daraufhin angesetzte Termin im März konnte ebenfalls nicht gehalten werden. Als Grund nannte das Landgericht die Corona-Pandemie und die hohen Fallzahlen. Zum zweiten Jahrestag der Tat im vergangenen Jahr führte das Gericht die damals nicht besetzte Stelle für den Vorsitz der 3. Strafkammer als Grund für eine erneute Prozessverzögerung an.

Vor dem Hintergrund des hohen Presseinteresses an dem Verfahren und den derzeit geltenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie könne ein ausreichender Gesundheitsschutz der Verfahrensbeteiligten und der teilnehmenden Öffentlichkeit nicht gewährleistet werden, erklärt Richter Axel Kulbarsch. „Die Verschiebung des Prozessbeginns erfolgte im Einvernehmen mit Staatsanwaltschaft, Verteidigern und den Vertretern der Nebenkläger.“

Jetzt soll das Verfahren am 7. September beginnen. Angesetzt sind laut Kulbarsch zwölf Verhandlungstage.

Beide mutmaßlichen Täter bis heute auf freiem Fuß

Es sei schwierig mit diesem Hin und Her, mit diesen ständigen Vorbereitungen auf den Prozess, den Verschiebungen und mit dieser „Hinhalte-Taktik“ umzugehen, sagt der angegriffene Journalist.

Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen hatte Anfang Februar 2019 – also erst zehn Monate nach der Tat – Anklage gegen die damals 18 und 25 Jahre alten Tatverdächtigen erhoben. Die Vorwürfe: schwerer gemeinsamer Raub, gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung. Beide mutmaßlichen Täter sind bis heute auf freiem Fuß.

Die Thüringer Opferberatungsstelle „Ezra“ erklärt, aus ihrer Beobachtung würden viele Verfahren wegen rassistischer und rechtsextremer Straftaten immer wieder verschleppt. Beispielhaft nennt Ezra-Beraterin Theresa Lauß einen Angriff von Neonazis auf eine Kirmesfeier in Ballstädt 2014. Auch hier seien die Täter über Jahre straffrei geblieben und hätten sogar weitere Straftaten begehen können. An die Täter sende das das Signal, machen zu können, was sie wollen. Konsequenzen gebe es nicht.

Langes Verfahren nützt nur den Tätern

„Je länger die Taten zurückliegen, desto schwerer wird es für die Betroffenen, sich zu erinnern und vor Gericht gute Aussagen zu machen“, sagt Lauß. Das gelte auch für den Angriff in Fretterode.

Lauß betont den Druck für die Opfer, die sich bei einer Prozessverschiebung vor jedem neuen Termin erneut vorbereiten müssten. Dabei seien sie eigentlich froh, wenn es vorbei ist. „Einen Abschluss zu finden, wird für die Opfer erschwert“, sagt Lauß. Und: „Ein langes Verfahren nützt nur den Täterinnen und Tätern.“

Das sieht der Göttinger Anwalt Sven Adam ähnlich. Er vertritt einen der in Fretterode angegriffenen Journalisten. Das zeige etwa die Verurteilung von Gianluca Bruno in der vergangenen Woche.

Das Amtsgericht Leipzig sah es als erwiesen an, dass Bruno an einem Angriff von Neonazis auf den Leipziger Stadtteil Connewitz vor mehr als fünf Jahren beteiligt war. Das Urteil: ein Jahr und zwei Monate auf Bewährung. Die Freiheitsstrafe sei wegen der langen Verfahrensdauer verkürzt worden, schildert Adam. Der verurteilte Bruno, der 2016 als Kandidat der NPD für den Kreistag in Northeim kandidierte, gilt auch als einer der beiden mutmaßlichen Täter aus Fretterode.

Was ist in Fretterode vor drei Jahren geschehen? Bruno und Thorsten Heises Sohn Nordulf, der sich kurz nach dem Angriff in die Schweiz abgesetzt haben soll, sollen die beiden Journalisten, die das Anwesen des Thüringer NPD-Funktionärs Heise in Fretterode zu Recherchezwecken fotografiert und gefilmt hatten, verfolgt und angegriffen haben. Nach einer Verfolgungsjagd durch Fretterode und Gerbershausen mussten die beiden Fotografen auf der Landstraße am Ortseingang von Hohengandern ihren BMW stoppen.

Die maskierten Neonazis sollen dann sofort zum Angriff übergegangen sein und, mit Reizgas, Baseballschläger, Schraubenschlüssel und einem Messer bewaffnet, die Fotografen und deren Auto attackiert haben. Einer der beiden Journalisten erlitt eine Stichverletzung am Bein, der andere einen Bruch des Stirnknochens am Kopf durch einen Schlag mit einem Schraubenschlüssel. Zudem wurde der Wagen der Fotojournalisten erheblich beschädigt. Außerdem raubten die Angreifer deren Fotoausrüstung.

Anwalt sieht versuchten Totschlag

Anwalt Adam wertet den Angriff, anders als die Staatsanwaltschaft, nicht nur als Körperverletzung, sondern als versuchte Totschlagsdelikte. Der bei der Tat verwendete 40 bis 50 Zentimeter lange, schwere Schraubenschlüssel sei geeignet gewesen, einen Menschen zu töten. Ebenso hätte der Angriff mit dem Messer auf den anderen Journalisten tödlich enden können.

Einer der beiden angegriffenen Journalisten recherchiert inzwischen nicht mehr im extrem rechten Milieu. Sein Kollege macht trotz der Fretterode-Erfahrung weiter. Nach eigenen Angaben arbeite er für „interessierte Medien“, die bei ihm anfragen, und für Magazine wie „Lotta“ und „Der Rechte Rand“. Seine Recherchen sind häufig genug Ausgangspunkt für Beiträge in Zeitungen und Rundfunk.