Göttinger Tageblatt vom 21.12.2021 – Heidi Niemann

Nach zweieinhalb Jahren beginnt die juristische Aufarbeitung des Angriffs auf zwei Journalisten in Fretterode. Angeklagt sind zwei Männer aus dem Umfeld des NPD-Kaders Thorsten Heise.

Mehr als zweieinhalb Jahre nach einer Gewaltattacke von zwei Neonazis auf zwei Göttinger Journalisten in der Nähe des thüringischen Ortes Fretterode hat das Landgericht Mühlhausen nun den Strafprozess terminiert. Die beiden 26 und 21 Jahre alten Angeklagten sollen sich dort ab dem 26. Januar 2021 wegen schweren gemeinschaftlichen Raubes, gefährlicher Sachbeschädigung und Körperverletzung verantworten.

Bei ihnen soll es sich um zwei Personen aus dem Umfeld des stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden und einstigen Anführers der so genannten Kameradschaft Northeim Thorsten Heise handeln. Einer der Angeklagten soll ein Sohn von Thorsten Heise sein. Der zweite Angeklagte ist seit langem in der Neonazi-Szene aktiv und war unter anderem 2016 als NPD-Kandidat für den Northeimer Kreistag in Erscheinung getreten.

Stich in den Oberschenkel

Laut Anklage sollen die beiden jungen Männer im April 2018 zwei Journalisten verfolgt haben, die in der Nähe von Heises Anwesen in Fretterode im thüringischen Eichsfeld fotografiert und gefilmt hatten. Als das Fahrzeug der flüchtenden Journalisten bei Hohengandern an der Landesgrenze zu Niedersachsen im Graben landete, sollen die beiden Verfolger aus ihrem Auto herausgesprungen sein und mit Reizgas, einem Baseballschläger, einem Schraubenschlüssel und einem Messer auf die Journalisten losgegangen sein.

Einer der Journalisten habe eine Stichverletzung am Oberschenkel erlitten, der zweite eine Kopfverletzung durch einen Schlag mit dem Schraubenschlüssel. Die Angreifer sollen ferner an dem Pkw die Scheiben zerschlagen, die Reifen zerstochen und die Kameratasche des Fotografen geraubt haben. Anschließend flüchteten sie.

„Zögerliche Bearbeitung“

Der Göttinger Anwalt Sven Adam, der eines der beiden Opfer vertritt, moniert eine „bemerkenswert zögerliche Bearbeitung“ des Falls durch die Thüringer Strafjustiz. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Anklage rund neun Monate nach dem Vorfall erhoben, erst nach weiteren zwei Jahren beginnt nun der Prozess. Dieser sollte auch wegen seiner Bedeutung für die Pressefreiheit „entsprechend konsequent geführt“ werden, fordert Adam.

Gemeinsam mit seinem Anwaltskollegen Rasmus Kahlen will er in dem Verfahren darauf drängen, dass auch der Vorwurf des versuchten Totschlags in den Blick genommen wird. Bei einer Verurteilung wegen schweren Raubes stehe bereits eine Haftstrafe ohne Bewährung im Raum, sagt Kahlen. Bei einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags wäre die Straferwartung deutlich höher. Für den Prozess sind zunächst acht Verhandlungstage angesetzt.