Die Vorwürfe gegen zwei mutmaßliche Neonazis wiegen schwer: Sie sollen vor zwei Jahren, am 29. April 2018, zwei Journalisten in Fretterode schwer verletzt und ausgeraubt haben. Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen hatte im Februar 2019 Anklage gegen die beiden jungen Männer erhoben. Ein Gerichtsverfahren lässt seitdem auf sich warten. Das zuständige Landgericht in Mühlhausen steht in der Kritik.

Fretterode / Mühlhausen

Auch zwei Jahre nach dem Überfall zweier Neonazis auf zwei Journalisten im thüringischen Fretterode steht ein Gerichtsverfahren immer noch aus. Das Verfahren sei immer noch nicht terminiert, bestätigte Gitta Fehr-Albrado, Sprecherin am zuständigen Landgericht Mühlhausen am Donnerstag. „Angedacht ist nun der Spätsommer“, sagt sie. Fehr-Albrado führt die immer noch nicht wieder besetzte Stelle für den Vorsitz der 3. Strafkammer als Grund für die Verzögerung an. Die Kammer kümmert sich um Strafsachen gegen Jugendliche und Heranwachsenden. Vor ihr soll verhandelt werden, einer der Täter war zum Tatzeitpunkt noch Heranwachsender.

Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen hatte bereits im Anfang Februar 2019 Anklage gegen die damals 18 und 25 Jahre alten Männer erhoben. Die Vorwürfe: schwerer gemeinsamer Raub, gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung. Als Verdächtige wurden der Sohn des stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden Thorsten Heise und Gianluca B. ermittelt. Mindestens fünf Jahre Haft drohten den Beschuldigten nun, erklärte Oberstaatsanwalt Ulf Walther im November 2018. Sie sind weiterhin auf freiem Fuß.

Mit Reizgas, Baseballschläger, Schraubenschlüssel und Messer

Die beiden Beschuldigten sollen zwei Journalisten aus Göttingen, die das Anwesen des Thüringer NPD-Funktionärs Heise in Fretterode zu Recherchezwecken fotografiert und gefilmt hatten, verfolgt und angegriffen haben. Nach einer Verfolgungsjagd durch Fretterode und Gerbershausen mussten die beiden Fotografen auf der Landstraße am Ortseingang von Hohengandern ihren BMW stoppen. Die maskierten Männer soll sofort zum Angriff übergegangen sein und mit Reizgas, Baseballschläger, Schraubenschlüssel und einem Messer bewaffnet die Fotografen und deren Auto attackiert haben. Einer der beiden Journalisten erlitt eine Stichverletzung am Bein, der andere einen Bruch des Stirnknochens am Kopf durch einen Schlag mit einem Schraubenschlüssel. Zudem wurde der BMW der Fotojournalisten erheblich beschädigt. Außerdem raubten sie deren Fotoausrüstung.

Staatsanwaltschaft sieht keine Tötungsabsicht

Der Göttinger Anwalt Sven Adam, der eines der beiden Opfer vertritt, wertet den Angriff, anders als die Staatsanwaltschaft, zum Teil als versuchte Totschlagsdelikte. Der bei der Tat verwendete 40 bis 50 Zentimeter lange, schwere Schraubenschlüssel sei geeignet gewesen, einen Menschen zu töten. Ebenso hätte der Angriff mit dem Messer auf den anderen Journalisten tödlich enden können. Die Angreifer hätten einen tödlichen Ausgang ihres Handelns zumindest billigend in Kauf genommen. Eine entsprechende Stellungnahme an das Gericht im Juni sei bislang ohne Reaktion geblieben.

Oberstaatsanwalt Walther räumte ein, dass das Vorgehen der Täter brutal gewesen sei, aber bei den Ermittlungen hätten sich „keine objektiven Anhaltspunkte für eine Tötungsabsicht“ ergeben, eine „billigende Inkaufnahme eines Todes“ habe es bei den Tätern nicht gegeben.

„Absurde“ Begründung

Die aktuelle Begründung des Gerichtes, weshalb ein Verfahren noch nicht eröffnet wurde, hält Adam für „absurd“. Wie kann es sein, dass in einer Jugendstrafsache mit einem möglichen hohen Strafmaß das Verfahren nicht eröffnet wird, fragt Adam. Sollte das nur an einer vakanten Stelle liegen, liege am Landgericht „einiges im Argen“.

Die Thüringer Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) betonte zum zweiten Jahrestag des Angriffs: „Die fehlende strafrechtliche Verfolgung von militanten Neonazis sendet ein fatales Signal an die extrem rechte Szene. Selbst bei schweren Straftaten müssen die Täter nicht mit juristischen Konsequenzen rechnen.“ Gerade bei einer so schweren Straftat müsse der Bezug zwischen Tat und Reaktion erhalten bleiben. Renner fordert einen zügigen Beginn des Gerichtsverfahrens.

Gemeinsame Recherchen von antifaschistischen Gruppen und der Schweizer Wochenzeitung WOZ hatten im vergangenen Jahr ergeben, dass Heises Sohn inzwischen in der Schweiz lebt, wo er laut Renner „über die neonazistischen Netzwerke seines Vaters“ eine Ausbildung zum Heizungsinstallateur machen soll. Recherchen von Report aus München zufolge soll er dort bei dem international gut vernetzten Schweizer Neonazi Silvan Gex-Collet wohnen.

Die Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen (EZRA) hatte schon kurz nach dem Angriff vor zwei Jahren die inkonsequente Strafverfolgung durch die Ermittlungsbehörden kritisiert. Entgegen der üblichen Praxis habe die Staatsanwaltschaft in dem Fall keinen Haftbefehl beantragt, hieß es damals in einer Mitteilung. Und das trotz eindeutiger Zeugenaussagen, Identifizierungen durch die Betroffenen und Fotos, die vom Angriff vorlägen, kritisierte der Verein in Trägerschaft der Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Die Mühlhäuser Staatsanwaltschaft wies die Vorwürfe zurück. Es habe keine nachvollziehbaren Haftgründe gegeben.

Nach der Attacke: Arbeit „mit mehr Herzklopfen“

Einer der beiden angegriffenen Journalisten, Merlin will er in der Öffentlichkeit genannt werden, zeigt sich enttäuscht über die Justiz. Es sei schwer zu begreifen, dass trotz der Schwere der Tat so lange nichts passiert sei. Das sei eine „absolute Katastrophe“, dass die Tat auch zwei Jahre danach immer noch keine Konsequenzen für die mutmaßlichen Täter habe.

Merlin recherchiert seit Jahren zur rechtsextremen Szene. Nach eigenen Angaben arbeite er für „interessierte Medien“, die bei ihm anfragen, und für Magazine wie „Lotta“ und „Der Rechte Rand“.

Nach Fretterode habe er eine kurze Pause eingelegt, sagt Merlin. Längst recherchiert er aber wieder im rechten Milieu. „Mit mehr Herzklopfen“, bekennt er.

Seine Motivation dabei sei es, verdeckte rechte Strukturen aufzudecken und die Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen. Das baue gegenüber Behörden Druck auf, so Merlin, etwas gegen diese Strukturen zu unternehmen.

Quelle: https://www.goettinger-tageblatt.de/Die-Region/Obereichsfeld/Angriff-auf-Journalisten-in-Fretterode-Prozess-gegen-Neonazis-laesst-weiter-auf-sich-warten